Ugo Arangino

Üble Studien-Verfälschung bei „Achtung, Reichelt!”

Quarks Instagram

Wie so viele andere ist auch Julian Reichelt zu YouTube hin abgetaucht.
Weil ich ein Bericht darüber gelesen habe, wollte ich wissen, wie sein Format aussieht.
Kaum überraschend, wirkt es sowohl optisch, rhetorisch als auch inhaltlich wie ein billiger Abklatsch der Hetzer in den USA.

Selbstoffenbarung

Direkt das erste Video, in welches ich hinein geschaut habe, hat mich getriggert. In diesem Video verleugnet er Quarks (WDR). Direkt am Anfang hetzt er über die Öffentlich-Rechtlichen und bringt folgenden Satz:

Weil sie in ihrem Programm eine vollkommen eigene Realität schaffen […], eine Realität, die mit Ihrem Alltag und den Zuständen, in diesem Land nichts zu tun hat.
— Achtung, Reichelt!1

Diesen Satz finde ich sehr faszinierend, weil er damit exakt sein eigenes Programm beschreibt.

Erschreckender weise erinnert mich das sehr an Die Physiker und die Chefärztin des Irrenhauses, welche die einzig wirklich Verrückte2 ist.

Die dreiste Lüge

In dem Video nimmt Reichelt Bezug auf diesen Post
Instagram @quarks.de3: Quarks Instagram

Reichelt meint:

Wir haben uns diese internationale Studie mal angeschaut. Gleich im vierten Satz der als Beweis angeführten Studie von Welsh und Farrington aus dem Jahr 2020 steht da aber exakt das Gegenteil von dem, was die Quarks Redaktion behauptet, Zitat „die Überprüfung stellt fest, dass Eingriffe durch Straßenbeleuchtung mit einer signifikanten wünschenswerten Wirkung auf die Gesamtkriminalität verbunden sind (14 Prozent Reduzierung der Behandlungsbereich im Vergleich zu vergleichbaren Kontrollbereichen)“ Zitat ende. — Achtung, Reichelt!4

Nun ja. Gleich im vierten Satz ist nicht wirklich eine brauchbare Quellenangabe. Ich habe mir mal diese Studie5 herausgesucht. Gemeint ist anscheinend der vierte Satz in der Research Summary des Abstracts. Scheint also so, as ob der sog. Journalist Reichelt sich lediglich die frei zugängliche Zusammenfassung angeschaut hat, anstatt wirklich zu versuchen diese Studie zu verstehen.
Übrigens ist diese Studie nicht aus dem Jahr 2020, sondern aus dem Jahr 2022.

Wenig später kommt dann ein Halbsatz den Quarks aus dem Kontext gerissen hat „bei den Gewaltdelikten ist im Gegensatz zu den Eigentumsdelikten keine signifikante Verringerung zu beobachten“ das heißt, aber, nicht dass es keine gab die Begründung ist ganz einfach, wenn die lichter aus sind, trauen sich vielleicht [sic] auch viel weniger Menschen auf die Straße, so sagen es die Wissenschaftler. Quarks aber legt den Autoren der Studie ein Fazit in den Mund, zu der diese gar nicht gekommen sind. Das Fazit der Autoren lautet nämlich, dass die Straßenbeleuchtung weiterhin eine hochwirksame Maßnahme zur Verhinderung von Kriminalität an öffentlichen Orten ist. Und das ist keine Überraschung jeder von uns weiß es. Jeder von uns versteht das. Jeder von uns weiß mehr licht, weniger Kriminalität.
— Achtung, Reichelt!4

Hier ist mal wieder eine Selbstoffenbarung zu finden. Reichelt macht genau das, was er anderen unterstellt. Er legt Wissenschaftlern Worte in den Mund und reizt Halbsätze aus dem Kontext.

Des Weiteren wird erneut mit Gefühlen anstatt mit Fakten argumentiert.
Das Problem ist jedoch:
Mit einer sauberen Methode zur Erkenntnis gewinn (Wissenschaft) lassen sich Fakten gewinnen, diese sind allgemeingültig. Gefühle hingegen sind individuell. So lassen sich nicht (fundierte) Entscheidungen für eine Allgemeinheit treffen(, jedoch hervorragend billiger Populismus betreiben).

Schauen wir uns aber mal wieder das Abstract an.

Dieser Artikel berichtet über eine aktualisierte systematische Überprüfung und Metaanalyse der Auswirkungen von Eingriffen in die Straßenbeleuchtung auf die Kriminalität an öffentlichen Orten. […]
Die Überprüfung stellt fest, dass Eingriffe in die Straßenbeleuchtung mit einer signifikanten wünschenswerten Wirkung auf die Gesamtkriminalität verbunden sind […]
wünschenswerte Effekte sind größer in Studien, die sowohl Nacht- als auch Tageskriminalität gemessen haben, als in Studien, die nur Nachtkriminalität gemessen haben; und Straßenbeleuchtung folgt ein deutlicher Rückgang der Eigentumsdelikte, nicht aber der Gewaltdelikte.
— Welsh und Farrington5 (2022)

Also:

  1. Diese Studie ist eine Aktualisierung einer vorangegangenen Studie6
  2. Das Abstract bezieht sich auf die Gesamtkriminalität, aber nicht auf die individuelle Sicherheit (z.B. Überfälle)
  3. Das Abstract deutet an, dass eine Beleuchtung einen gesamten Effekt haben kann, jedoch nicht zwangsläufig die Sicherheit bei Dunkelheit erhöht.

Folglich gehen diese Studien am Reichelts Thema („Mit dieser Lüge bringt der WDR Frauen in höchste Gefahr“) vorbei.

Cherry picking

Nicht nur wurden hier Zitate aus dem Kontext gerissen. Auch eine Studie. Denn Quarks2 verweist in seinem Beitrag auf drei Studien. Diese haben aber wohl nicht in Reichelts Narrativ gepasst.

Mein Fazit

Bezüglich Reichelt und Co.

  1. Medienkompetenz ist Wichtig
  2. Überprüfe Zitate
  3. Nur, weil du etwas glauben willst, ist es noch lange nicht wahr

Bezüglich Studien und Wahrheiten

Eine Straßenbeleuchtung, so wie wir sie haben, erhört faktisch nicht die individuelle Sicherheit. Jedoch fühlen sich dadurch viele sicherer.
Das sogar, obwohl durch diese künstlichen Lichtverhältnisse die Sehfähigkeit eingeschenkt wird.

Hierbei muss man aber zwischen Fakten und Gefühl unterscheiden.

Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl
— Florian Aigner7


  1. Achtung, Reichelt! (02.09.2022): Mit dieser Lüge bringt der WDR Frauen in höchste Gefahr // Üble Studien-Verfälschung bei Quarks! (04:36) ↩︎

  2. Friedrich Dürrenmatt (1980): Die Physiker ↩︎ ↩︎

  3. Instagram @quarks.de: [Wird es bald dunkel in Deutschland](https://www.instagram.com/p/Chch5_jqyO9/ ↩︎

  4. Achtung, Reichelt! (02.09.2022): Mit dieser Lüge bringt der WDR Frauen in höchste Gefahr // Üble Studien-Verfälschung bei Quarks! (07:27) ↩︎ ↩︎

  5. Brandon C. Welsh, David P. Farrington (2022): The impact and policy relevance of street lighting for crime prevention: A systematic review based on a half-century of evaluation research ↩︎ ↩︎

  6. Brandon C. Welsh, David P. Farrington (2008): Effects of Improved Street Lighting on Crime ↩︎

  7. Florian Aigner (2020): Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl (978-3-7106-0467-6) ↩︎